Ukraine 2005 - Regie: Aleksandr Shapiro - mit: Witalij Linetzkij, Alexej Gorbunow, Wladimir Gorianskij, Alla Sergijko, Wladimir Jamnenko / Forum
Experimentell ausgerichtetes Porträt von Kiew in Form eines Stadtführers. Elf Episoden sollen einen Gesamteindruck der Stadt geben. Fing eigentlich ganz vielversprechend an, hat sich dann aber nicht getragen. Nicht das es langweilig wurde, der Film wollte zu viel und irgendwann bin ich gedanklich ausgestiegen.
"Ganz gewöhnliche Informationen können mitunter sehr poetisch sein, selbst wenn es sich nur um Straßennamen handelt. Ich wollte zwei unterschiedliche Kategorien zusammenbringen: Information und Ästhetik – und etwas Beeindruckendes daraus machen. Außerdem wollte ich drei Filmgenres miteinander verbinden: Spielfilm, Dokumentarfilm und Chronik. Innerhalb von zwei Stunden sollte alles über Kiew gesagt werden. Der dokumentarische Teil des Film zeigt einige unbekannte Orte der Stadt, die Chronik beschäftigt sich mit der Geschichte von Kiew, und den Geist der Metropole kann man im Spielfilm-Teil entdecken." (Aleksandr Shapiro)
Frankreich 2005 - Regie: Raphaël Jacoulot - mit: Nade Dieu, Hadrien Bouvier, Pierre Berriau, Aurelia Petit, Anaïs Demoustier
Ruhiges, französisches Drama um eine 30-jährige Mutter und ihren 15-jährigen Sohn, der langsam flügge wird. Aus Angst ihren Sohn zu verlieren zieht sie mit ihm aus der Stadt in ein einsames Haus im Wald am Fluss und schreckt auch nicht davor zurück, ihn langsam zu vergiften. Interessanter Effekt: Die beiden Hauptdarsteller könnten auch Geschwister sein und nicht unbindingt 30 und 15. Die Zuschauerführung des eher konzeptionellen Films ist verhältnismässig offen gehalten mit unterschiedlichen Interpretationsmöglichkeiten. Trotz der Offenheit in den Bedeutungen erzeugt der Film eine kohärente, beeindruckend scharf inszenierte Grundstimmung einer Angst vor psychischer Einsamkeit.
Geiseldrama in Griechenland um einen albanischen Immigranten, der einen Linienbus entführt und damit eine halbe Million Euro und freies Geleit ins Heimat erpressen möchte. Spannend, weniger auf Action ausgerichetet, sondern auf die Psychologie von Geiselnehmer und Geiseln. ?Angeregt zu meinem Film hat mich ein tatsächlicher Vorfall, zu dem es im Frühjahr 1999 in Nordgriechenland kam. Im Zentrum des Films stehen die Themen Emigration und Sehnsucht nach der Heimat; außerdem geht es um die Verantwortung der Massenmedien. Meine Absicht war es dabei, Licht auf einen ausgesprochen gewalttätigen und tragischen Augenblick in der jüngsten Geschichte Griechenlands und Albaniens zu werfen.“ (Constantinos Giannaris)
USA 2004 - von: Jeff Feuerzeig / Panorama Dokumente
Porträt über den Künstler und Musiker Daniel Johnston, den ich nicht kannte, der aber für Kurt Cobain der grösste Songwriter auf Erden war. Daniel Johnstons macht nicht nur traurige Lieder, sondern ist auch mansich-depressiv und schizophren veranlagt. In dem Film rekonstruiert Jeff Feuerzeig den Lebensweg des von den eigenen Dämonen gequälten Künstlers. Zur Verwendung kamen rares Archivmaterial, Interviews mit Wegbegleitern und Bewunderern sowie zahlreiche Songs des ?Desperate Dan“. Die Grenzgänge zwischen Genie und Wahnsinn, die der Film aufzeigt, sind für mich das beeindruckenste gewesen. Gutes Gefühl nach dem Film, Lebensfreude und positiver Blick.
Deutschland 2004 - von: Teresa Renn / Perspektive Deutsches Kino
Der Fall Janine F. ging im November 2002 durch die Presse. Die 24-jährige Frau hatte sich aus dem fünften Stockwerk des Berliner Kunsthauses Tacheles gestürzt. Die Zeitungen gaben den Tacheles-Künstlern eine Mitschuld an ihrem Tod. Sie hatten Janines Todesankündigung auf Video aufgenommen, aber nicht ernst genommen. Am nächsten Morgen hatten Touristen ihre Leiche fotografiert. Sie glaubten an eine Kunstperformance. (Berlinale Programm zum Film)
Der Film begibt sich auf die Spurensuche des Todes von Janine anhand von Interviews mit ihrer Ateliergemeischaft und engen Freunden. Spannend an dem Film ist, wie sich ein Bild von Janine im Kopf des Zuschauers aufbaut, ohne dass ein Bild von ihr im Film gezeigt wird. Leider fährt der Film den Karren am Ende in den Graben: Denn er zeigt das Video mit Janines Todesankündigung, baut alle Dramaturgie auf diesen Moment des authentischen Bildmaterials hin auf. Einige Minuten Video werden auf dem Silbertablett präsentiert und machen alles kaputt. Wär nicht nötig gewesen, denn Janines Porträt funktioniert voll und ganz über die Erinnerungen ihrer Freunde. Dadurch dass Janine am Ende doch noch zu sehen ist, resultiert alles in einer blöden Betroffenheitsinzenierung, die der Film eigentlich nicht nötig hätte. Den betroffen war ich vom Mythos, den die Erinnerungserzählungen aufbauten, nicht von ihrem tatsächliches Abbild und ihrem Grabstein, auf dem eine Freundin Blumen hinterlegt.
Frankreich 2004 - Regie: Lucile Chaufour - mit: Frédéric Beltran, Franck Musard, François Mayet, Serena Lunn / Forum
Voyage Rock'n'Roll de Paris à Le Havre, so der einizige Kommentar der Regisseurin zu ihrem ersten Langspielfilm. Dokumentarische Beobachtungen eines Rockabilly-Konzerts in Le Havre und Spielfilmszenen verbinden sich zu eine stilisierten Porträt der Fanszene. Interessanter Effekt an dem Film: Es ist heute, sieht aber aus wie Nouvelle Vague. Indem die Spielszenen bewusst á la "Ausser Atem" inszeniert sind koppelt sich das heutige Dokumentarische mit einer Retroästhetik der 60er. Aber der Effekt trägt nicht den gesamten Film, war zwar nett anzusehen, wär aber mit einem dreiminütigem Musikvideo auch okay gewesen. Das Beste an dem Film war die Titelsequenz. Statt der Schauspieler kommen alle Musik-Credits als erstes. Als ich in den Film ging, dachte ich noch, "ein Film über französische Rockabilly-Fans - in schwarzweiss? Soweit ist's schon mit uns gekommen?"
Deutschland 2004 - Regie: Antonia Ganz / Panorama Dokumente
Der Zufall hat mich in den Film gespühlt. Und wieder eine Bildungslücke weniger: Dokumentation über die Berliner Band Mutter, bestehend aus Max Müller (Gesang), Kerl Fieser (Bass), Florian Koerner von Gustorf (Schlagzeug) und Frank Behnke (Gitarre), die den Underground der 80ern überlebt haben bis heute. Der Film porträtiert die Band anhand von Interviews mit den üblichen Underground- und Musikexperten, wie Dietrichsen, Distelmeyer, Schamoni, Kaktus und auch der Buttgereit kommt zu Wort. Natürlich auch die Bandmitglieder, wovon der eine - der Schlagzeuger v. Gustov - mich doch arg an A. erinnerte. Interessantes Filmmaterial aus der guten alten Berliner Zeit, in der Musik für mich noch charttauglich sein musste und ich keine Ahnung von irgendwas hatte. Auf der Homepage von Mutter gibts einige Musik von denen zum Download.
Großbritannien 2004 - Regie: Dominic Savage - mit: Tom Hudson, Samina Awan, Nicola Burley, Wasim Zakir / Panorama
Das Kinodebüt des bislang mit dokumentarischen Arbeiten hervorgetretenen Regisseurs Dominic Savage spielt in einer nordenglischen Industriestadt, in der die Spannungen zwischen der alteingesessenen Bevölkerung und den zugewanderten Arbeitsemigranten einen gefährlichen Höhepunkt erreicht haben. Zu denen, die sich aufgrund ihrer ethnischen Vorurteile und ihrer sozialen Lage ausländerfeindlich verhalten, gehört auch der von seiner bigotten Mutter und seiner ebenso engstirnigen Schwester beeinflusste Adam. Die junge Naseema stammt aus einer muslimischen Einwandererfamilie; während ihr Vater ein liberaler, den westlichen Werten gegenüber aufgeschlossener Mann ist, reagiert ihr Bruder Yousif auf die Gewalt, die ihm im alltäglichen Leben entgegenschlägt, mit gewalttätigen Mitteln. Als sich Adam und Naseema bei der Arbeit zum ersten Mal begegnen, ist ihre gegenseitige Zuneigung offensichtlich. Adam ist von Naseemas Temperament und Schönheit total irritiert, schließlich bringt sie mit ihrem Charme all seine Vorurteile ins Wanken. Die vorgefassten Meinungen seiner Angehörigen kann er jedenfalls nicht länger nachbeten. Vor die Wahl zwischen seiner Familie und seiner Liebe gestellt, entscheidet Adam sich für Naseema. Damit beginnt für das junge Paar eine schwere Zeit der Anfeindungen und Konflikte. Ein rein privates Glück kann es für die beiden nicht geben. Wenn ihre Liebe von Dauer sein soll, werden sie die tief verwurzelten Vorurteile in ihrer Umgebung irgendwie überwinden müssen. (Berlinale Programm zum Film).
Das was Ken Loach mit seinem letzten Film Just a Kiss versucht hat - durch eine Liebesgeschichte zwischen Muslime und weisser Frau die Vorurteile beider Kulturkreise und die Probleme der Annäherung zu thematisieren - gelingt diesem Film auf merhfacher Ebene. Erstens ist zwischen den Paaren hier tatsächlich so etwas wie eine brennende Liebe zu spühren, die bei Loach nur gut aussieht, aber nicht spührbar wird. Zweitens zeigt dieser Film tatsächlich den Schmutz, die dreckigen Vorurteile und das herzerbitternde Leiden der Paare durch die Umstände. Bei Loach wird der Konflikt im Vergleich nur behauptet, aber nicht visuell inszeniert. Drittens, dadurch das es nicht nur Muslime (Mann) - Weisse Frau, sondern auch noch die Konstellation muslimische Frau - weisser Typ gibt - und sich dann auch noch alles aufbauscht, weil alle miteinander bekannt sind und in der selben Fabrik arbeiten wird der Konflikt nicht so einseitig wie bei Loach durchdialektisiert. Hat sich gelohnt dieses Problem-Love-Stroy noch anzusehen.
Deutschland 2004 - Regie: Till Endemann - mit: Jacob Matschenz, Alice Dwyer, Peter Kurth, Adrian Topol / Perspektive Deutsches Kino
Die Geschichte um die kurze Teenagerliebe zwischen Malte und Annika, oder ist es doch nur ein Urlaubsflirt? Alles spielt in Ahlbeck, der Ferienort auf Usedom, dicht an der Grenze zu Polen. Malte lebt in Ahlbeck, er wird in dieser Woche 18, jobbt im Fischladen und schmuggelt als kleiner Fisch Zigaretten über die Grenze, um seinen Führerschein zu bezahlen. Er und sein Freund verstehen sich als der Urlaub für die Mädchen, die sie versuchen aufzureissen. Sein Vater ist Alkoholiker, überraschend kommt die Schwester mit ihrem Sohn zurück nach Hause. In all den ganzen Teenagerproblemen mit der Zukunft und der Freiheit entwickelt sich die kleine Affäre zu Annika, die in Ahlbeck eine Woche Urlaub macht, recht positiv. Mehr als eine Affäre wird's aber nicht. Und ganz unschuldig "erste große Liebe" ist das ganze auch nicht. Symphatischer Diplomfilm, mit nett anzusehender Teenagerstory, mehr aber auch irgendwie leider nicht. Innerhalb der vielen Filme auf so einem Festival wirkte das doch recht konventionell und irgendwie schon mal da gewesen. Vielleicht war aber auch das Kino schuld, denn im CinemaxX 3 oben rechts hat eine Lautsprecherbox ihren Geist aufgegeben, knarzte munter vor sich hin und trübte das Vergnügen
Frankreich 2005 - Regie: Jérôme Bonnell mit: Nathalie Boutefeu, Marc Citti, Judith Remy, Lars Rudolph / Forum
Bin ich etwas zu spät rein und hatte zuerst das Gefühl, der Film wird nichts. Wurd aber was. Fanny leidet an einer psychischen Störung und lebt mit ihrem Bruder zusammen. Nach einem Streit fährt sie nach Deutschland, um das Grab ihres Vaters zu besuchen. Im Wald lernt sie den Einsiedler Oskar (Lars Rudolph) kennen und da beide die Sprache des anderen nicht verstehen kommunizieren die beiden ihre aufkeimende Liebe ohne Worte. Die Darstellung der Fanny durch Nathalie Boutefeu ist gelungen. Nicht zu überdramatisiert stellt sie die psychischen Ticks der Firgur da, die meist eigentlich ganz gesund wirkt. Erst als Lars Rudolph ins Bild kommt, beginnt der Film mit der Beobachtung der Liebesbeziehung aber erst wirklich interessant zu werden. Kleine, feine Etude.
"Mein Film erzählt die Geschichte eines Menschen, der nicht kommunizieren kann und durch die Liebe gerettet wird. Deshalb sollte Fannys Reise der einer Märchenfigur ähneln, es sollte eine Entwicklung, eine Initiation geben – auch wenn die Atmosphäre des Films mehr oder weniger realistisch ist. Fanny unterscheidet sich von den anderen Figuren des Films: Sie ist das 'schwarze Schaf' der Familie, rennt davon und sucht das Abenteuer. In dem Moment, in dem sie mit anderen Augen gesehen wird, 'wird sie schön'. Eine Liebesgeschichte über zwei Menschen zu machen, die nicht die gleiche Sprache sprechen, war mein Ausgangspunkt bei dieser anfangs noch undurchsichtigen Geschichte. Ich wollte nur Körper, Blicke und Gesten zeigen, nur Lachen und Stimmen, die nicht sprechen, hören. Auf diese Weise möchte ich mich auf ausschließlich filmischem Weg den Gefühlen nähern, um die es hier geht." Jérôme Bonnell im Forum Programm zum Film