Niederlande 2004 - Regie: Walter Stokman / Panorama Dokumente
Dokumentation die mit Interviews und Archivmaterial einen Banküberfall rekonstruiert, der als Vorlage für Sidney Lumets Film "Hundstage" (1975, mit Al Pacino) diente. 1972 hatte John Wojtowicz eine Bank in Brooklyn gestürmt, um Geld für die Geschlechtsumwandlung seines Freundes zu erbeuten. Die Doku beschäftigt sich mit den Übergängen der Realität dieses Falls zur filmischen Fiktion und natürlich mit Wojtowicz, dessen Darstellung aber fast nur am Telefon zu hören ist. Geldgierig will er sein Story nur gegen Cash erzählen.
|Berlinale Programm zum Film
Deutschland, Frankreich 2004 - Regie: Christian Petzold - mit: Julia Hummer, Sabine Timoteo, Marianne Basler, Aurélien Recoing, Benno Fürmann / Wettbewerb
Guter Film, auch wenn ich mich mit der eigenartigen Atmosphäre etwas allein gelassen fühle. Der Regisseur schreibt selber zum Inhalt: Ein Mann fährt von Paris nach Berlin. Er sucht seine Frau. Er wird sie finden, in einer Psychiatrie in Spandau. Er wird sie wieder mitnehmen, zurück nach Paris. Die Frau fährt jedes Jahr nach Berlin. Sie sucht verzweifelt ihre Tochter. 1989, da war die Tochter drei Jahre alt, ist sie entführt worden. Und verschwunden geblieben.
Jetzt entdeckt sie ein Mädchen. Nina. Eine Streunerin, Drifterin. Eine unbehauste junge Frau. Die umherzieht mit einer, die Toni heißt. Eine, die sich die Welt nimmt. Eine Diebin. Die Frau glaubt, in Nina ihre Tochter wiedergefunden zu haben. Gespenster, das sind Gestalten, die nicht einsehen wollen, dass sie tot sind. Die herumspuken, in den Zwischenreichen, zwischen den Lebenden und den Toten. Die hoffen, dass die Liebe sie wieder lebendig machen kann.
Um solche Gestalten geht es hier.
Geisterhafte Ortlosigkeit, eine merkwürdige Stimmung baut der Film auf. Fast alles spielt in Tiergarten, ein austauschbarer Ort. Urbanität und labyrinthische Stadtnatur zugleich. Julia Hummer wirkt in der Rolle ein bißchen festegelgt. Sabine Timoteo konkurriert mit mehr Dynamik. Petzold scheint sich stilistisch auf zurückgenommene, artifizielle Inszenierung festzulegen, die stellenweise etwas maniriert wirkt. Aber doch ein stilles, atemberaubendes Vergnügen.
Rußland 2004 - Regie: Anna Melikian - mit: Gosha Kutsenko, Nana Kiknadze, Artur Smolianinov / Panorama
Ganz ehrlich? Crazy Film, den ich glaube, nicht verstanden zu haben, und froh gewesen wäre, wenn danach aus dem Publikum noch Fragen gekommen wären, die ich vor lauter Fragen gar nicht hätte stellen können. Es geht irgendwie darum, dass ein Boxer auf der Flucht vor seinen eigenen Erinnerungen mit dem Zug in einen Ort in der Krim gerät - oder auf den Mars. Der Ort lebte früher von einer Stofftierfabrik. Alles sehr skurill. Jedenfalls lernt er die hübsche, rothaarige Bibliothekarin Greta kennenlernt und Grigorij, der in Greta verliebt ist. In ihrem Spielfilmdebüt verbindet die junge Regisseurin Anna Melikian eine bittersüße Dreiecksgeschichte mit Auskünften über die Realitäten im heutigen Russland. Und da kann ich nicht mitreden. Trotzdem wage ich zu sagen, dass der Film in seiner Ironie und seiner Kritik in einer doch typische Linie des jungen russsichen Kinos steht. Denn dieses merkwürdige Gefühl bei der Rezeption frischer russischer Filme kenne ich schon seit einigen Jahren. Die sind meist so dicht mit Symboliken angereichert, aber doch so verklausiert, dass die für einen typischen Wessi nicht so einfach zu entschlüsseln sind. Aber trotzdem klasse anzusehen. Ist ja auch mal nett, so fast vollkommen orientierungslos zu sein.
Ganz hübsche Doku über eine Region, die ich nicht kannte und die mich auch nicht interessiert: Zwischen Köln und Bonn liegt das sogenannte Vorgebirge, dem das dahinterliegende Gebirge fehlt. Es ist eine zersiedelte, charakterlose Region, in der aber natürlich auch Menschen ihre Heimat haben. Vier von diesen Bewohnern porträtiert der Film. Ein zugezogener Pfarrer, der einen jahrhundertealten, traditionellen Streit zwischen den Dörfern zu schlichten sucht. Eine Krimiautorin, deren Romane im Vorgebierge spielen, deren Bücher aber ausgerechnet im Heimatdorf nicht gelesen werden. Das jüngste Mitglied eines Junggesellenvereins, der am liebsten Modedesigner in Mailand werden will und dann eine Lehre in Köln als Florist anfängt (klasse! mein Lieblingsprotagonist! ich hoffe sehr, er findet seinen Weg). Und der leidenschaftliche Vorsitzende des Spielmannszug, italienischer Abstammung aber im Herzen deutscher Vereinsmensch. Auch toller Typ. Geht zur Bundeswehr, weil ihm an einem Verein wichtig ist, dass die nette Uniformen haben.
Wie auch immer. Hat mich sehr überrascht und amüsiert dieser Dokumentarfilm über das Heimatliche in der Normalität. In jedem Mensch steckt eine tragische Figur, wenn man nur hinhört. Würde der Protagonisten? Ja, ist erhalten geblieben, aber best friends will man mit der Region wirklich nicht werden.
Frankreich 2004 - Regie: Frédéric Balekdjian - mit: Pascal Elbé, Simon Abkarian, Isaac Sharry / Panorama
Erster Film dieses Jahr auf der Berlinale, in dem ich gepflegt eingedöst bin. Kann ich also nicht viel zu sagen. War aber, glaube ich, gar nicht so ein schlechter Film. Es ging um so Spieler-Gauner in Paris. Großstadtkrokodile halt mit ihren betrügerischen Kartentricks. In diesem Mileu kommt es zu einer Freundschaft zwischen dem französischem Gauner Vahé und dem asiatischen Einwanderer Yuen (der auch noch der Bruder von der Frau ist, die Vahé liebt). Keine Ahnung, kaum Erinnerung, hab gut gedöst, wurd nur manchmal vom Geballer wach.
(Colour Blossoms) - Hongkong, China 2004 - Regie: Yonfan - mit: Matsuzaka Keiko, Harisu, Teresa Cheung, Sho, Carl Ng / Panorama
Etwas schwul-kitischige und auch erotische Geschichte um die Hauptfigur einer chinesischen Immobilienmaklerin, die einer Diva ein Haus verkauft und den Auftrag bekommt, für die alte Wohnung der Diva den richtigen Nachmieter zu finden. Darum geht's aber eigentlich nicht. In der kitschigbunten Jugendstil-China-Einrichtung der Wohnung changiert bald Vergangenheit, Erinnerung und Gegenwart miteinander. Und dann ist da auch noch der junge Polizist mit der sexy Uniform... Es geht in dieser Liebesgeschichte um SM und transsexuelle Bezüge, um Lust und Leid, Unschuld und Verführung. Inspiriert ist das ganze von einer Oper des chinesischen Dichters und Dramatikers Tang Hsien-tsu, den ich nicht kenne, aber "opernhaft" war es allemal. Hatte was, dieser Kitsch und das Erotische so auf nüchternen Magen. Ziemlich viele Leute sind während des Films rausgegangen.
|Berlinale Programm zum Film
Deutschland 2004 - von: Lutz Hachmeister und Michael Kloft
Auf den Tagebüchern von Goebbels beruhende Dokumentation, die seinen Werdegang als Propagandaminister zeigt. In der deutsche Fassung spricht Udo Samel die Tagebuchtexte, die mit historischen Archivbildern illustriert werden. Der Schreibstil Goebbels wird gut deutlich, allerdings musste natürlich aus der Fülle an Material ausgewählt werden. Eine persönliche Lektüre der Tagbücher wirft weit mehr Erkenntisse über die Person Goebbels als Mensch und Nazi auf, als der Film das kann. Merkwürdig, dass mir ausgerechent bei einer Dokumentation dieses typsiche Argument von Literaturverfilmungen über die Finger huscht. Einige meiner Lektüre-Eindrücke der Tagebücher spiegelt der Film sehr schön, andere, die damals mehr meine Aufmerksamkeit erreichten, scheinen mir zu kurz zu kommen. Zwiespältig: Der Film verlässt sich vielleicht zu sehr auf ein intelligentes, geschichtsbewusstes Publikum, denn eine wirkliche Richtung der Rezeption Goebbels gibt der Film nicht vor, sondern gibt es in die Hand des Zuschauers. Das ist natürlich sehr gut für einen Dokumentarfilm und ein bisschen Goebbels steckt in jedem von uns. Bei diesem Gegenstand wird der Film aber sicher auch in die Vertriebswege von Neonazis finden und dort anders als intendiert rezepiert werden.
Überhaupt: Es war die Premiere, die ich gesehen habe, mit einem ganz anderen Publikum als sonst: Viele Histroriker und Menschen, die vom die Nazi-Vergangenheit aufarbeitendem Kultur- und Historikerbetrieb ein gesettletes Leben führen können. Denn bei Geschichte um Film geht es auch immer um Filmrechte. Und mit Bewegtbildern, wo ein Hakenkreuz drin vorkommt, am besten in Farbe, kann man eben auch Geld verdienen. Ist mir nur so aufgefallen.
Japan 2004 - Regie: Kazama Shiori - mit: Nakamura Mami, Shibukawa Kiyohiko, Nakatsuka Keishi, Tanabe Seiichi / Forum
Twenty-Somethings in Tokyo, die ihr Liebesleben nicht auf die Reihe kriegen, weil sie sich einfach zu passiv durchs Leben strudeln lassen. Klingt jetzt etwas hart, obwohl es eigentlich ein sympathischer Film ist. Irgendwie gehen mir diese japanischen Jugendfiguren in den letzen Jahren immer mehr auf den Keks. Sind über 20, stehen mehr oder weniger auf eigenen Beinen, aber ein Gebaren wie Kinder (wollen nicht erwachsen werden...). Oder stört mich da nur an mich selber was? Wahrscheinlich. Das sind eigentlich immer ganz liebe, sehnsüchtige Filme - mit diesen Twens auf dem langgezogenen Weg zum langweiligen Erwachsensein - verzweifeltes Klammern an einem verlorenen Jugendtraum und perspektivlosen Zukunft... Auch ein bißchen diese Murakami-Atmosphäre. Ich muss unbedingt mal nach Japan, da ist immer so viel Anteil in diesen Filmen, den ich kulturell nicht voll kapiere. Das hab ich beim letzen Film der Regisseurin vor einigen Jahren auch schon gedacht, glaube ich.
Irland 2004 - Regie: Lenny Abrahamson - mit: Mark O'Halloran, Tom Murphy, Louise Lewis / Panorama
Ein Tag im Leben zweier Dubliner Junkies, eine kreisförmige Odyssee auf der Suche nach Geld, respektive Stoff mit Anklängen an "Warten auf Godot", "Dick & Doof" sowie Kaurusmäki. Es fiel mir zuerst etwas schwer, in diesen speziellen (irischen?) Humor reinzukommen. Aber er war da, zwischen der rauen Realität. Auch mich das Gebaren der beiden zuerst eher an "Beavis & Butthead" erinnerte hat, als an "Dick und Doof". Wie durch ein Paralleluniversum vollzieht sich der Streifzug der beiden langjährigen Freunde durch Dublin, der tatsächlich ein wenig an die Situation erinnerte, in der man sich selber als Filmjunkie auf so einem Festival wiederfindet: Kaum fähig in den Pausen zwischen den Filmen ein vernünftiges Gespräch zu führen, fröstelnd auf der unruhigen Suche nach dem nächsten Kick, der sich einstellen wird, aber immer viel zu lange auf sich warten lässt. Und am Ende jeden Films wacht man aus einem Rausch auf, reibt sich die Augen und weiss ganz kurz nicht, wo man eigentlich ist.
Dokumentation über die 1987 gescheiterte Flucht aus der DDR von Matthias und Susanne, die 20-jährig ins Gefängnis kommen. Zurückgeblieben war Matthias Freundin Suse. Nach 16 Jahren begegnen sich die 3 wegen dieses Films wieder. Individuell begehen die Protagonisten die Orte der Flucht und die Haftanstalt und bereiten in Interviews ihre Erinnerung auf. Ruhiger Film mit einer durch die Erzählung der Protagonisten bestimmten Dynamik. Nach der Sichtung von Sophie Scholl ergaben sich einige interessante Parallelitäten. Was sind die Beweggründe von eigentlich ganz normalen Leuten, sich gegen die Macht eines Staates zu widersetzten? Bei Sophie äußert sich der Kampf für eine demokratische Gesellschaftsordnung in schriftlicher Meinungskundgebung. Bei den Flüchtlingen geht es zunächst um die Durchsetzung individueller Freiheit. In beiden Fällen gründet die Aktion auf einem starken Wille trotz Todesbewusstsein. Nicht falsch verstehen! Die beiden Filme sind eigentlich Apfel und Birne...