Auf 3sat kommt Dienstagnachmittags so um 15:45 noch bis in den November rein Porträts von Philosophen - gestern ein Veriss von Nietzsche. Die Erstsendung war vom 4.2.1974. Ein Herr mit Bildungsauftrag las ein Skript über Nietzsches Leben, seine Theorien und seine Psyche vor, gespickt mit rethorischen Spitzen hin zum Genie des Wahnsinns und der Kritik seiner egozentrischen Weltsicht. Dazu eigentlich nichtssagendes Bildmaterial. Aber der Essay war so prima, und wie der Herr - der sich dann als Walter Jens entpuppte - das vorlas. Super! Fast wie Nietzsche himself, so als Pfarrer ohne Gemeinde zwischen den Daily Talks und Musikvideos.
Im Film von Gert Ellinghaus und Walter Jens soll der "faschistische", von den Nationalsozialisten in Dienst genommene Nietzsche mit dem anderen Nietzsche konfrontiert werden: dem Europäer. Kein Mythenschöpfer, sondern ein Kanzelredner, der noch in der lästerlichsten Rede der Pastorensohn aus Naumburg bleibt. Kein Heros, sondern ein kranker Mann, der die erzwungene Einsamkeit zu kompensieren sucht. Ein Bürger, der den Verfall des Bürgertums beschrieb. (3sat)
Na, hat jedenfalls Freude gemacht, polemische Uni-Vorlesungen im Fernsehen gibts ja heute nicht mehr so oft. Mit Nietzsche hab ich mich nie so beschäftigt. Auf dem Flohmarkt hab ich mal als Alibi "Morgenröte" gekauft, war mir dann aber zu blöd. Länger gelesen hab ich mal den Briefwechsel mit seiner Mutter und seiner Schwester. Das war recht amüsant (oder war das der zwischen Sartre und de Beauvoir?). K. war Nietzsche-Fan, glaube ich. K. war immer mit denen zusammen, mit denen ich meine ersten alkoholischen Erfahrungen in der Kleingartensiedlung und am Stint gemacht habe. K., schon damals etwas aufgeschwämmt und blass, ein bißchen aalig, nicht so die besten Zähne, schon damals hohe Stirn, dunkel gekleidet, speckiger Mantel und pessimistisch besserwisserisch. Wenn es um Nietzsche ging, hab ich mir dann immer K. vorgestellt. Vor Jahren habe ich K. mal zufällig in der Mensa getroffen. Er hatte gerade angefangen zu studieren - Philosophie. Er gab mir seine Visitenkarte, so eine billige aus dem Automaten. Unter seinem Namen stand da als Berufsbezeichnung "Suchender". Tage später besuchte ich ihn in seinem Zimmer in einem Studentenwohnheim in Lichterfelde. Seitdem meide ich, wenn möglich, Studentenwohnheime. Letzten Herbst hab ich K. noch einmal gesehen in der Tram 20 mit einem halben Liter Dosenbier in der Hand. Immernoch der speckige Mantel, ausgelatschte Docs und die hohe Stirn noch als Stirn zu bezeichnen wäre zu optimistisch. Er ist dann am Frankfurter Tor ausgestiegen, ohne das wir uns zugezwinkert haben.
Nach der Eröffnung gestern - ich rede von "Big Brother V" - bin ich mir nicht ganz sicher, ob es gut tut, sich das 365 Tage an zu tun - ich rede vom Ansehen der Sendung. Die erste Staffel hat mich mitgerissen ich hab's geliebt, die zweite Staffel war dann nicht mehr ganz meins, von der dritten Staffel hab ich nur die letzte Woche gesehen, die vierte Staffel hab ich lustlos verfolgt. Und jetzt dachte ich, könnt ja wieder interessant werden... Mal sehen, aber beonders an gemacht hat's mich gestern noch nicht. Arm, mittel, reich. Sieht jedenfalls erstmal alles aus wie eine Parodie der Gesellschaftsschichten. Mal sehen, wer sich am besten langweilen kann. Ich oder die Kandidaten.
Wobei ich auch die Oscar-Nacht dieses Jahr sehr lau fand. Auch eine Parodie von sich selbst. So offensichtlich der Gewinner schon vorm Rennen klar war, so offensichtlich gab's scheinbar nichst besonderes zu vermelden aus dem Container der Reichen, Schönen und Erfolgreichen. Trotz Wahlkampf und trotz 5-Minuten-Verzögerungs-Zensur...
Mal eine prima Jobperspektive für arbeitslose Akademiker. Endemol sucht für "Big Brother":
(aus: Süddeutsche Zeitung, 17./18.1.2004)
Diese Anzeige ist dieses Wochenende in mehreren deutschen Tageszeitungen drin. Das kann ja was werden, jetzt schlagen sich die Klugen die Köpfe ein. Bin schon gespannt. "Big Brother V" startet am 1.3.2004 auf RTL II.
Manchmal ist es klug, sich ein bißchen Zeit zu lassen, mit der Meinungsbildung über Fernsehsendungen. Das Problem an seriellen Formaten ist, dass man da immer erst reinkommen muss. Ich kann mich noch gut erinnern, als die ersten "Star Trek TNG"-Folgen ausgestrahlt wurden. Scheußlich fand ich die damals, der Nachfolge des Originals nicht würdig. Auch mit "Big Brother" musste die Masse erst warm werden.
"Ich bin ein Star, holt mich hier raus!" ist eine kluge Sendung, denn sie führt in letzter Konsequenz fort, was seit Erfindung des Voyeur-TV geschehen ist. Es ist quasi die Zusammenfassung aller Big-Brother-Erfahrungen, über "Deutschland sucht den Superstar" und "Popstars". Jetzt - endlich - werden wieder Profis drangelassen! Okay, die Auswahl an Profis ist C, D und E. Aber da müssen wir durch auf dem Weg zur A-Liga. Denn das ist, was wir wirklich sehen wollen: Verona von Rebellen entführt aus einem Wüstencamp, eigeschlossen in ihrem DIXI-Klo (live).
"Ich bin ein Star, holt mich hier raus!" ist ein sehr reflektierter Titel. Und er ist unwahr, denn in der Sendung gibt es keine Stars, sondern nur Kandidaten. Daniel Küblböck verkörpert dieses Dilemma am Schönsten. Das Unschuldslamm vom Lande wurde als Kandidat in einer Casting-Show zum Retorten-Promi, vielleicht auch ohne sich vorher darüber bewußt zu sein. Jedenfalls scheint ihm der Rummel manchmal ein bißchen zu viel. Eigentlich will er da wieder raus, der arme Kerl. Raus aus dem Promi-Ghetto, raus aus dem Star-Gefängnis, zurück in den echten Dschungel des Lebens, wo nur zählt, was für ein Mensch man ist. Überhaupt - die Menschlichkeit. Die noch vorhandenen Kandidaten scheinen den Dschungelaufenthalt hauptsächlich als Selbstfindungstrip zu schätzen. Mal das Ego Ego sein lassen und wieder Gruppen bilden, voneinander abhängen. Ausbrechen aus dem Star-Sein. Denn ziemlich schnell war allen klar, "okay, der und der macht mit. Die sind ja alle auf dem absteigenden Ast... bin ich dann wohl auch!" Mit Starallüren kommt man nicht weit im Dschungel. Die Kandidaten haben das schnell begriffen und haben sich zum Menschlichen gewendet. Das einzig Unmenschliche an der Sendung sind die beiden Moderatoren.
Ja, doch, würdelos. Aber nun doch nicht so schlimm, dass man sich aufregen muss. Es ist ja nicht so, als ob die Kandidaten - auch wenn sie keine echten Stars sind - nicht eine bestimmte Erfahrung über die Funktionsweisen von Medien haben, sich nicht darüber informiert hätten, was in den Dschungelsendungen anderer Länder passiert ist, und nicht aus einem ganz bestimmt Antrieb mitmachen: Ich bin kein Star, holt mich wieder rein! Die eigentlich Würdelosigkeit liegt in der Wiederholung des Star-Seins. Etwa, dass Gottlieb Wendehals auch nach seiner Alkoholismus-Kur immernoch als Stimmungskanone sein Geld in den Bierzelten dieser Welt verdienen muss. Das finde ich würdelos. Warum sollen jene denn ihr ganzes Leben in diesen Schubladen bleiben, in denen wir sie so gerne hätten? Kein Wunder, dass manche von ihnen rufen: "Holt mich bitte raus!" Wendehals´ Markenzeichen - das Karo-Jackett - hängt abgelegt über einem Ast im Dschungel. Bitte, lass es da! Und komm als neuer Mensch wieder. Dann lass ich dich auch rein, vielleicht.
In der "Domian"-Sendung von letzter Nacht, hat sich ein Anrufer über "Ich bin ein Star..." aufgeregt. Wusste aber doch sehr gut bescheid, auch wenn er nur "immer mal wieder reinzappt". Ach, Deutschland Dein Fernsehverhalten..., aber deswegen bei Domian anrufen? Danach kam ein 17-jähriger, der davon berichtete, dass er den Tod spüren kann. Ein sehr reflektierter, junger Mann, der sich als normaler, durchschnittlicher deutscher Bürger" bezeichnete. Wenn doch alle so wären, wie dieser respektable junge Mensch, gäb's "Ich bin ein Star..." wahrscheinlich gar nicht.