Dieser Kurzfilm Staubkaskade wurde kürzlich unter einer Creative Commons Lizenz frei für die nichtkommerzielle Verbreitung im Internet heraus gebracht. Was auf den ersten Blick aussieht wie ein besserer Bildschirmschoner aus Fraktalen, ist in Wirklichkeit große digitale Programmierkunst. Denn der Film kommt aus der Demoszene. Dahinter stehen Stefan Pautze und weitere Mitglieder der Commodore 64 Demogruppe Reflex. Die Musik zum Video ist auf dem Netlabel Phonocake erschienen (hier der Audio Release).
Wer mit dieser Form von Digitaler Kunst nicht so viel anfangen kann, dem möchte ich folgenden experimentellen Animationskurzfilm aus Argentinien von 2008 ans Herz legen. Echte, handgemalte Realtrickanimation, die ebenfalls unter einer CC Lizenz steht. Und beide Filme haben etwas gemeinsam: Sie weiten die Grenzen des Bekannten aus. Der eine Filme lotet die Grenzen des Machbaren auf Eben der Computerhardware aus, der andere Film erstreckt sich in den urbanen Raum von Buenos Aires und macht Hauserwände zur Leinwand der Animation. Ich finde, dass ist auch eine sehr reelle Form des Hackens.
Auf der wunderbaren Portfolio-Webseite http://www.blublu.org/ finden sich noch weitere Kunststücke dieser Art: Animation, Stopmotion, Illustration, Street- und Urban Art. Alles auf einmal! Was will man mehr?
Und weil es so schön ist, folgend noch der neuste Trickfilm von Blu in Kollaboration mit David Ellis, der 2009 auf dem Fame Festival in Italien entstanden ist. Hier ergänzen sich Illustration und Skulptur zu einem 3D-Trickfilm, der ganz ohne Polarisation und Plastikbrille funktioniert.
Doch dann kam es anders: Gestern im Schnee führte der Spaziergang zum St. Matthäuse Friedhof in der Nachbarschaft. Obwohl ich nun schon seit einigen Jahren in dieser Ecke von Berlin wohne, und obwohl mein Weg oft an der Rückseite des Friedhofs vorbeiführt, hatte ich es noch nie geschafft, mir den alten Stadtfriedhof einmal genauer anzusehen. Irgendwas zog mich dieses mal dahin. Vielleicht, weil ich gerade Dan Brown's "Illuminati" lese und in dem Roman derartig populär mit Religion und Kunstmotiven um sich geworfen wird, dass ich einen Realitätsabgleich brauchte (das Buch - spannend, aber geschrieben wie mit einem Zaunpfahl).
Ich mag die Berliner Stadtfriedhöfe. Es sind kleine Enklaven der Ruhe, eingerahmt von den üblichen Berliner Mietshäusern und wenn man sich Zeit nimmt, lernt man über die einzelnen Grabsteine und Familiengräber auch ein wenig Stadthistorie. Das relativiert dann immer ein wenig, in welchem geistigen oder reellen Überlebenskampf man sich selber gerade befindet. Gestern sind mir in der typischen Gräberarchitektur einige Gräber aufgefallen, die geschmacklich aus der Reihe tanzten. Sie waren bunter, moderner. Gräber von Schöneberger Homosexuellen, die vornehmlich in den 1980er und 1990er Jahren starben - sehr wahrscheinlich an AIDS. Eines der Gräber zeigte den Verstorbenen auf einem Foto noch zu Lebzeiten hinter seinem blauweissen mit Engelsflügen geschmückten Sarg sitzen. Ausgemergelt aber voller Stolz in die Kamera blickend. Darunter die Bildunterschrift: "Ich starb wie ich lebte - über meine Verhältnisse."
Ich war kurz sehr beeindruckt von dieser Haltung. Atmete tief durch und musste wieder an meinen langen Spaziergang am zweiten Weihnachtsfeiertag zum Grab meines Opas denken. Er liegt auf einem Waldfriedhof in der Nähe des Dorfes, in dem meine Oma und er in den 1960ern ein Einfamilienhaus gebaut haben und damit quasi die Suburbanisierung des Dorfes eingeläutet hatten. Als ich nach dem Besuch des Grabs aus dem Wald trat roch ich diesen besonderen Dorfgeruch, den ich oft in meiner Kindheit genossen habe, wenn ich zu Besuch bei meinen Großeltern war. Und musste an die Sommer im Kornfeld denken, an Schnitzeljagden, an das paradisische Herumlungern im Obstgarten meiner Oma, an Fußballspiele und meinen ersten Jaques Tati Film auf dem Schwarzweissfernseher meiner Großeltern.