:::: gesehen am 13.2.2008 im babylon:mitte

Belgien, Niederlande 2007; Regie: Nic Balthazar; mit: Greg Timmermans, Marijke Pinoy, Pol Goossen, Laura Verlinden; 90 min



Ben hat eine autistische Störung, wird von seinen Mitschülern gehänselt und lebt in seiner eigenen Welt, die geprägt ist vom Online-Rollenspiel Archlord. In diesem Computerspiel ist er als "Ben X" ein Held. Hier kann er sein, aussehen und agieren, wie er möchte. Ganz anders in der Schule, dort wird er herumgeschubst und kann die Spielregeln des Schulhofs einfach nicht verstehen. Als er eines Tages wieder von seinen Klassenkameraden bis zur Entblößung gequält wird und auch noch Videos von der Erniedrigung im Internet auftauchen, zerbricht Ben. Selbst seine Rollenspiel-Partnerin kann ihn nicht mehr aufbauen. Ben kündigt an, sein letztes Spiel zu spielen - scheinbar plant er einen Selbstmord, vielleicht sogar einen Amoklauf. Zu viel will ich nicht verraten. Das hatte meine Kollegin schon, die mir den Film empfohlen hatte, als sie sagte, der Film sei gut, zwiespältig aber findet ein sehr gutes Ende.

Das Problem des Films - was gleichzeitig seine eigentliche Qualität ist - sind die Vermischungen bzw. die Trennungsunschärfen von Wahrnehmungswelten. Primäre Erzählperspektive ist die Sicht von Ben. Es gibt aber auch eine "allwissende" Kameraführung (ähnlich wie in Computerspielen), sowie Interview-Ausschnitte mit Eltern und Mitschülern, die die Perspektiven von Ben in eine scheinbare Objektivität einbetten. Wenn man so will, liefern die dokumentarisch inszenierten Interviews den Pfad für das "Big Picture" der fragmentarischen, fantastischen, vom Computerspiel beeinflussten, Weltsicht Bens. Doch wer sich auf diesen einfachen Pfad einlässt, wird vom Film lustig gefoppt. Denn das, was "wirklich" passiert sehen wir erst ganz am Ende des Films. Es ist das alte Ding mit der Realitätswahrnehmung - das was man sehen, anfassen, fühlen kann. Was aber, wenn sich die Wahrnehmung von Realität in jedem von uns anders gestaltet und anfühlt. In Filmen wird gern mit changierenden Realitäten gespielt, um den Zuschauer auf die falsche Fährte zu bringen. Leider geschieht das zu oft als reiner Selbstzweck. "Ben X" schafft es, dieses Spiel der Realitätsebenen einzubetten in einen moralischen Thriller, ohne allzu moralisierend zu werden.

Noch was interessantes zum Dreh. Die Spielwelten in dem Film wurden nicht extra designed, sondern entstammen dem Original-Game Archlord. Im Gespräch nach dem Film erzählte der Produzent über die Dreharbeiten im Cyberspace. Es wurden vier Online-Gamer angeheuert, die drei Monate in dem Spiel unterwegs waren, um eine hohe Punktzahl zu erreichen, damit die Spielfiguren von "Ben X" auch wirklich einer hohen Punktezahl entsprechend aussehen und wirken konnte. Bei den Aufnahmen traten dann echte Onlinespieler in die Szene und wollten die Spielfigur kennen lernen, da eine solch hohe Punktzahl sehr selten in dem Spiel ist. Als dann erläutert wurde, dass gerade ein Film gedreht wurde, gingen manche der Gaffer, manche mussten aber auch erst getötet werden. Fand ich lustig. Auch gab es einen Online-Location-Scout, der das Spiel nach geeigneten Drehorten absuchte. Die Realitäten der Filmproduktion ändern sich eben auch. Wie auch im anderen Film von heute Sleep Dealer, der Globalisierung und die Ausbeutung von Billiglohnarbeitern zwar kritisiert, selbst aber nicht ohne die kostengünstigen, digitalen Bildwelten made in India und China auskommt. Egal. Hauptsache wieder zwei sehenswerte Filme heute auf der Berlinale gesehen. Gestern war es Japan, heute Cyberspace-Filme, mal sehen was morgen kommt. Ich tippe mal auf Liebesfilme. Happy Valentine's , liebe Leser!

Webseite zum Film: http://www.benx.be/
 




:::: gesehen am 13.2.2008 im CinemaxX 7

USA, Mexiko 2008; Regie: Alex Rivera; mit: Luis Fernando Peña, Leonor Varela, Jacob Vargas, Tenoch Huerta, Metztli Adamina; 90 min



Ein globalisierungskritischer Science-Fiction, in dem auch eine hübsche Bloggerin drin vorkommt? Das musste ich mir natürlich ansehen. Der Film ist erst vor wenigen Wochen auf dem Sundance-Festvial gelaufen und ist für einen Erstlings-Film sehr professionell geraten. Wenn Low-Budget und Science-Fiction eine Ehe eingehen, wird es entweder grottenschlecht oder aber durch die gestalterische Improvisation im Set Design gerade besonders interessant. Dieser Film ist Low Budget, man sieht es ihm aber nicht zwangsläufig an. Schon in den ersten Filmminuten, die im ländlicher Nirgendwo Mexikos spielen, wird eine hochmilitarisierte Filmwelt etabliert. Ein alter Bauer uns sein Sohn kaufen Wasser an einem hochsicherheitsbewachten Stausee. Wasser ist knapp in der Zukunft und eine amerikanische Firma kontrolliert den Staudamm, der den kleinen Bauern das bisschen nötige Wasser für ihre Felder abklemmt. Der Junge ist Memo, ein Computerfreak, der davon träumt, einmal in den Städten im Norden sein Leben zu machen. Um den fernen Stimmen aus den Städten hinter der schwerbewachten Staatsgrenze zu lauschen, hat er mit einer selbstgebastelten Antenne einen Nachrichtensatelliten angezapft. Doch dieser harmlose Hacker-Angriff bleibt nicht unbeobachtet. Schon am nächsten Tag wird die Hütte des Vaters von einem US-Bomber platt gemacht. Übertragen wir der Krieg gegen die "Aqua-Terroristen" live im Fernsehen. Den Vater verloren und voller Schuld gegenüber der Familie flieht Memo vom Land in die Stadt. Auf der Busfahrt in die Grenzstadt Tijuana lernt Memo die junge Autorin Luz kennen. Sie hat was er ersehnt in ihre Arme implementiert: Nodes - Schnittstellen um den Körper direkt mit der Anderen Seite, dem Computernetz des Weltmarkts zu verbinden. Nachdem Luz Memo geholfen hat, seinen Körper gleichfalls ans Netz anzuschließen, findet er endlich die ersehnte Arbeit in einer Hi-Tech-Telearbeit-Fabrik. Dort steuert er mit seinem Körper als Billiglohn-Gastarbeiter Roboter, die in weit entfernten Orten Hochhäuser bauen, Kinder hüten, Taxi fahren oder Orangen pflücken. Doch die Computerschnittstellen im Körper scheinen auch ihre Risiken zu haben, diese bizarre und gefährliche Wirklichkeit der Node-Arbeiter, auf die er hier trifft, entspricht in keiner Weise seinen Träumen.

Das wirklich Reale spürt Memo nur, wenn er mit Luz zusammen ist. Die junge Autorin betreibt, was Memo zunächst nicht weiss, ein Befindlichkeitsweblog auf der Plattform "TrueNode". Auf dieser Community tauschen User gegen Bezahlung ihre wahren Erinnerungen aus. Als Luz ihre Erlebnisse mit Memo verbalisiert, findet sich tatsächlich ein zahlender Abnehmer. Ein Seegen für Luz, die ihr College-Darlehen nicht abbezahlen kann. Der Abnehmer der Erinnerungen verlangt weitere Details über den Immigranten, so freundt sich Luz mit Memo an und beide werden so etwas wie ein Liebespaar. Bis sich rausstellt, dass der Käufer der Berichte der Bomberpilot ist, der den Angriff auf die Hütte des Vaters geflogen ist. Ebenfalls als ein Node-Arbeiter - gestöpselt an die Maschine - hat er ferngesteuert für die Armee gedient. Allerdings hat er unerwartet ein schlechtes Gewissen und möchte die Hintergründe seines ersten Flugangriffs erfahren. Die Weblogeinträge von Luz bestärken ihn, nach Mexiko zu fahren und Memo um Entschuldigung und Wiedergutmachung zu bitten. Zögerlich schlägt Memo ein und zusammen bombardieren sie - in Gedenken an den toten Vater - den bösen Staudamm.

Wenn man das so erzählt, klingt das alles ein bisschen einfach und das Ende ist tatsächlich eher hilflos pathetisch im Angesicht der technoiden Übermacht der USA. Doch trotzdem schafft es der Film eine Diversität aufzubauen, in der nicht Gut immer gut und Böse nur böse ist. Es sind in der nahen Zukunft liegende Realitäten, die die fortschreitende Globalisierung und gleichzeitige Militarisierung von heute mit sich bringen. Der Film schildert seine Zukunftsvision nah genug an der Gegenwart um seine Messages tragfähig zu machen: Die Mächtigen werden weiterhin ihren technologischen Vorsprung nutzen, um andere zu unterdrücken. In den Tele-Arbeit-Szenarien dieses Films geht ein kapitalistischer Traum in Erfüllung: die lästige Arbeit wird erledigt von Arbeitern, die nicht vor Ort sind, also nicht stören können.
 




:::: gesehen am 12.2.2008 im Cinestar 8

Japan 2007; Regie: Kumasaka Izuru; mit: Lily, Kaziwara Hikari, Chiharu, Jinno Sachi; 111 min.



Manche jungen, japanischen Filme sind quietisch-flippig (und manchmal recht albern). Andere wiederum sind ruhig und können mit wenigen Mitteln und genau beobachteten Charakteren rühren. So auch dieser nette kleine Debütfilm von Kumasaka Izuru (der nebenbei beim anschließenden Filmgespräch einen ausgesprochen höflichen Eindruck hinterließ).

Die Geschichte dreht sich um eine alternde, etwas grimmige Besitzerin eines Stundenhotels in Tokyo. Das Hotel läuft nicht so gut, aber es hat trotzdem einen ganz besonderen Reiz. Oben auf dem Dach des Hauses befindet sich eine kleine Oase. Kinder kommen nach der Schule, um hier zu spielen. Alte Herren treffen sich zum Schach, Frauen machen Musik. Mitten ein der Großstadt bietet das Dach des Stundenhotels einer Freifläche der Erholung. Die Idylle ist Magnet für gestrandete oder flüchtige Seelen und die Hotelbesitzerin fungiert als Katalysator. Die 13-jährige Mika, die von zu Hause abgehauen ist und nach ein paar Gesprächen mit der Hotelbesitzerin, wieder zu ihrem Vater zurückkehrt. Die vernachlässigte Hausfrau Tsuki, die seit Jahren am Hotel vorbei ihre Fitnessrunden dreht, wagt mit der Bitte um einen Job im Hotel den wichtigen Schritt aus der Einsamkeit. Doch nicht alles löst sich in Wohlgefallen auf. Denn Tsuyako selbst verbirgt ebenso ein trauriges Geheimnis wie die irritierende Marika entdeckt, die als letzter verbliebener Stammgast das Hotel für seine eigentlichen Zwecke nutzt. Wie sich das unterdrücktes Problem der Hauptfigur mit Großmutter-Komplex - ihr Mann, der die Oase auf dem Dach für ihr gemeinsames Kind gebaut hatte, ist gestorben - genau auflöst, hab ich leider nicht mitbekommen, weil ich kurz eingenickt bin. Aber die Schlusseinstellung des Films, zeigt sie auf ihrem Hoteldach versöhnt mit sich selbst und ihrer Rolle in der Welt. So kann man es jedenfalls vermuten.
 




:::: gesehen am 12.2.2008 in der Urania

Deutschland 2007; Regie: Doris Dörrie; mit: Elmar Wepper, Hannelore Elsner, Aya Irizuki, Nadja Uhl, Maximilian Brückner, Birgit Minichmayr; 122 min



Der neue Film von Doris Dörrie im Wettbewerb. Sentimental? Ja. Aber verdammt, kann die Frau gute Filme machen! Ein deutscher Lost in Translation, möchte ich fast behaupten. Nicht ganz so hipp, aber dafür um so herzlicher.
Die Geschichte einer aufopfernden Liebe und eine poetische Reise in das Innere des Seins: Nur Trudi weiß, dass ihr Mann Rudi Krebs im Endstadium hat. Als der Arzt eine letzte gemeinsame Unternehmung vorschlägt, überredet Trudi ihren Mann, mit ihr die Kinder und Enkel in Berlin zu besuchen. Doch die sind viel zu sehr mit ihrem eigenen Leben beschäftigt, um sich um die beiden zu kümmern. Nachdem sie noch die Aufführung eines Butoh-Tänzers besucht haben, reisen Trudi und Rudi in ein Hotel an die Ostsee. Dort stirbt plötzlich Trudi – Rudi ist völlig aus der Bahn geworfen. Er weiß nicht, wie das Leben weitergehen soll. Bis er sich auf den Weg nach Japan macht, um dort den jüngsten Sohn, Karl, zu besuchen. (Berlinale Programm)
Frau Elsner mal nicht als alternde Diva, sondern sehr überzeugend in der Rolle einer treu sorgenden Hausfrau aus der bayerischen Provinz. Dass die Figur eine kleine, versteckte Sehnsucht hat, reicht Frau Elsner, um der Rolle eine ungemein sympathische Profiltiefe zu geben. Und Elmar Wepper mal nicht hau-drauf-komisch, sondern pointiert tragigkomisch. Herrlich die sinnliche Wandlung von einem sturen Sachbearbeiter zum Lost-in-Translation-Reisenden. Die Trauer und die Fremde lassen ihn seine Liebe zu Trudi neu erleben. Manchmal muss man weit reisen, um das Naheliegende zu sehen.
 








TRISTESSE DELUXE

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