USA 2009 - Regie: Andrew Bujalski - Darsteller: Maggie Hatcher, Tilly Hatcher - Sektion: Forum
Die querschnittsgelähmte Jeannie und Amanda besitzen einen Secondhand-Laden. Jedoch glaubt Jeannie, dass Amanda eine Klage gegen sie anstrebt und sucht deshalb Rat bei ihrem Exfreund und Jurastudent Merrill. Jeannie's Zwillingsschwester - beide leben zusammen - ist auf der Suche nach einem Job. Das eigentliche Drama, der Gerichtsprozess, findet eigentlich nicht statt. Der Film fokussiert sich auf all die zähen Entscheidungen davor: Klagen? Sex mit Ex? Stop oder Go? Frühstück oder nicht? Bujalskis dritter Film zeigt Tweens in ihrem Alltag beim Abschied von der Unverbindlichkeit. Dabei strahlen die Laiendarsteller eine Lebendigkeit aus und improvisieren ihre Dialoge voller Wortwitz entlang eines Drehbuchs. Das ist also diese filmische Richtung "Mumblecore" der gelungenen Sorte gewesen. Ein sehr feinfühliger, vorsichtiger Film. Vorsichtig mit seiner Handlung, feinfühlig mit der Darstellung seiner Charaktere, mit liebevoller Kamera und allem. Dabei aber nicht überemotionalisierend, sondern wie die Kollegin just twitterte: "leichthändig dirigierter alltag, tolle farben, tolle dialoge."
USA 2009 - Regie: Nicole Haeusser - Darsteller: Joe Dallesandro - Sektion: Panorama Dokumente
Dokumentation über Joe Dallesandro, die männliche Sex-Ikone in Andy Warhols Factory und Star etlicher Paul Morrissey-Filme. Joe Dallesandro wird dieses Jahr 60 Jahre alt und seine Tochter hat diesen Film über sein bisheriges schauspielerisches Schaffen produziert. Natürlich wird hier eine lebende Legende ins rechte Licht gerückt. Man kann dem Film vorwerfen, dass nicht auch andere Stimmen außer Joe Dallesandro zu Wort kommen, ebenso wie der Film bestimmte Metaebenen auslässt, die spannend gewesen - etwa das Thema der Darstellung von männlicher Sexualität im amerikanischem Kino, mit der Joe Dallesandro schließlich durch Tabubrüche erst berühmt geworden ist. Und man kann dem Film eine äußerst schlechte Tonmischung vorwerfen. Insgesamt habe ich mich aber nicht gelangweilt, auch wenn nicht wirklich viel neue Erkenntnisse über die Mechanismen der Factory oder der Filmindustrie selber dazu kamen. Es soll ja im Kern auch um Joe Dallesandro gehen. Von dem bekommt man den Eindruck eines zunächst etwas naiven New Yorker Jungen, der trotz Rückschläge sich aber immer wieder aufrappelt und so etwas wie ein amerikanischer Held wird, a Self-Made-Man. Viele Probleme in Joe Dallesandro Leben werden ausgeklammert oder nur äusserst beiläufig gestreift. Bisschen wenig, für eine rundum gelungene Biographie. Aber gut, Legendenbildung eben.
Frankreich, Italien 2009 - Regie: François Ozon - Darsteller: Alexandra Lamy, Sergi Lopez, Mélusine Mayance, Arthur Peyret - Sektion: Wettbewerb
Bei François Ozon spalten sich gern die Geister. So auch bei diesem Film. Mich erstaunt immer wieder, wenn es ein Film schafft, vereinzelte Buh-Rufe im Publikum auszulösen. Ganz so schlecht ist der Film aber nicht, vielmehr ist er durchgängig stringent und spannend erzählt, wenn auch das Ende nicht aus den Vollen schöpft und einen zunächst etwas alleine lässt.
Von der Handlung darf man nicht zu viel vorwegnehmen: Katie, eine gewöhnliche Fabrikarbeiterin und allein erziehende Mutter lernt auf ihrer Arbeit Paco kennen, mit dem sie ein außergewöhnliches Baby zeugt. Der Film basiert auf einer Geschichte der britischen Autorin Rose Tremain und François Ozon schreibt dazu:
„Die Erzählung ist sehr kurz und erinnerte mich von ihrer Stimmung her an ROSETTA, den Film der Brüder Dardenne. Die Protagonisten sind arme, unterprivilegierte Weiße, die in einer amerikanischen Wohnwagensiedlung leben. Wegen dieses Hintergrundes war ich mir zunächst nicht sicher, wie ich mich der Handlung nähern, sie zu meiner eigenen machen sollte. Und obwohl mir die Vorstellung gefiel, wie ein außergewöhnliches und erstaunliches Ereignis die ansonsten ganz hoffnungslose Existenz der Charaktere durcheinanderbringt, machte mir das fantastische Element auch Angst. Aber dann wurde mir klar, dass es nicht so sehr der Fantasy-Aspekt der Geschichte war, der mich berührte, sondern die Art und Weise, in der sie von Familie handelt, von unserem Platz in ihr, und wie ein neues Mitglied, sei es ein neuer Partner oder ein Kind, die ganze Balance durcheinanderbringen kann. Rose Tremains Texte besitzen eine Ironie, die meiner entspricht, und die wollte ich im Film bewahren. Wenn die Geschichte zu bizarr und unwirklich wird, kommen humorvolle und distanzierende Elemente hinein, die die Spannung abbauen und die Sache zum Laufen bringen.“
Was etwas irritiert an dem Film ist die Behandlung des zugrunde liegenden Themas der Mütterlichkeit, bzw. was Ozon zu diesem Thema am Ende des Film zu sagen hat. Ist die Mutter im Film durchgängig als recht selbstbewusster, durchsetzungsstarker und auch humorvoller Mensch inszeniert, kippt das am Ende. Dann stellt Ozon eine ziemlich überhöhte, fast mystisch wirkende Mutter im Einklang mit ihrer natürlichen Funktion als Mutter dar. Das ist eine sehr reaktionäre Reduktion von Weiblichkeit, die ihm sicher aus dem alten Feminismus-Lager eher übel genommen wird. Innerhalb der fantastischen Filmhandlung ist es aber wiederum ein legitimes Ende und funktionierendes Mittel, um diese vorherige, starke Pendeln zwischen Sozialrealismus und fantastischem Un-Realismus wieder zum Ruhen zu bekommen.
Großbritannien 2008 - Regie: Alexis Dos Santos - Darsteller: Déborah François, Fernando Tielve, Michiel Huisman, Iddo Goldberg, Richard Lintern - Sektion: Generation 14plus
Ein Film über Liebe und Vergangenheit. Der 20-jährige Axl will in London seinen Vater finden, den er seit seiner Kindheit nicht mehr gesehen hat. Axl findet heraus, dass sein Vater Wohnungsmakler ist und inzwischen eine neue Familie hat. Er entschließt sich kurzerhand als wohnungssuchender Student auszugeben, um seinen Vater etwas näher kennen zu lernen. Für Axl beginnt eine gedankliche Reise in die Vergangenheit, anhand derer er in der Gegenwart reift. In dem besetzen Haus, in dem Axl wohnt, lebt auch Vera. Ihre Vergangenheit, ihren Liebeskummer will Vera am liebsten vergessen. Sie stürzt sich in eine anonyme Affäre mit einem Fremden, was aber zu einem Problem wird, als sie sich in den Mann verliebt.
Ein Junge sucht seinen Vater, ein Mädchen sucht die Liebe. Dazu Britpop und romantisch-schöne Bilder. Das war hübsch anzusehen. Bin in den Film gegangen, aufgrund einer Empfehlung, die jemand getwittert hatte. Ist ein schöner Jugendfilm, aber ich hatte wohl nach der Empfehlung etwas mehr erwartet.
Österreich 1976 - Regie: John Cook - Darsteller: John Cook, Helmut Boselmann, Eva Grimm, Hilde Pilz, Michael Pilz - Sektion: Forum
Ein Tagebuchfilm aus der Wiener Bohème von 1976. Der Modefotograf John (John Cook) ist von seiner Freundin verlassen worden und will den mit ihr begonnenen Film nun mit Freunden zu Ende bringen. So beginnen er und sein bester Freund die entstandenen Super8-Aufnahmen gemeinsam anzusehen. Im Off kommentieren sie die filmischen Fragmente. Das unterfangen, den Film zu Ende zu bringen gestaltet sich jedoch nicht allzu leicht, schlagen einem doch das Leben, die Arbeit, das Bier, einfach der gesamte Sommer ins Ruder. Ein langsamer Sommer in der Stadt mit Ausflügen aufs Land, Affären, Beziehungen, Freundschaften, Neben- und Hauptsachen, deren Gewichtungen sich verschieben.
Das schöne an diesem Film ist seine fußgängerische Ausstrahlung. Entstanden in einer Zeit, in der man mit Freunden noch nicht immer nur kontinuierlich konsumiert hat, wenn man sich traf, sondern vor allem auch viel Zeit mit gemeinsamen Schlendrian, Chillen oder Abhängen verbracht hat, vermittelt der Filme eine Form von Müßiggang, die der heutigen Digitalen Bohème vielleicht etwas verloren gegangen ist. Die Wertschätzung der vergehenden Zeit und die Schaffung von Kreativität aus sich selbst heraus. Eine ähnliche Stimmung vermitteln etwa auch Werke der Münchener Filmleute aus der selben Zeit.
Der Berlinale-Text zum Film fasst es sehr schön zusammen:
Cooks erster abendfüllender, teils autobiografischer Film besitzt mit seiner lässigen Unaufdringlichkeit einen Tonfall zwischen erfindendem und dokumentierendem Blick, der an die Filme von Jean Eustache erinnert. Ganz gelassen erfasst Cook die Präsenz der vorübergehenden Zustände, den trägen Sommer in der Stadt, die ziellos streunenden Freunde. In seiner simplen „privaten“ Form präzisiert Langsamer Sommer eine filmisch-erzählerische Haltung, deren Melancholie dem Vergangenen nie das Beiläufige und Wunderbare seiner einstigen Erscheinung nimmt. (Quelle: Berlinale Programm)