Heute mal wieder seit längerer Pause mit der U-Bahn in Berlin unterwegs gewesen. Ohne Buch und Musik, also quasi die volle Packung an Wahrnehmung ohne Schutzschild. Viele traurige oder böse dreinblickende Leute. Drei sind mir hängen geblieben:
# Der Merkwürdige, etwas Aufgeschwemmte mit der Designerbrille und den viel zu engen, schwarzen Röhrenjeans, spitzen Lederschuhen und schwarzer Adidastrainigsjacke mit roten Streifen, den ich eigentlich in der richtigen Location zu späterer Stunde wahrscheinlich noch gerne kennengelernt hätte, aber in der U-Bahn - ? Wo alle immer so grummelig dreinschauen?
# "Wenn Du ein Mann bist, dann erzähl kein Scheiß, sondern triff dich mit mir und wir klären das! Per SMS Schluss machen - Du hast sie wohl nicht mehr alle!" [laut ins Handy gebrüllt auf dem Bahnsteig von einer plateauxbesohlten Deutschtürkin in unvergleichlichem Neukölln Akzent]
# Die schlanke Blonde, elegant in schwarz gekleidet, mit schwarzen Sambas und einem Nasenring. Als eine spanische Mutter mit Kinderwagen und dazugehöriger Oma in die U-Bahn steigt, wendet sie ihr Interesse vom Grisham weg hin zum Inhalt des Kinderwagens. Kann den Blick nicht ablassen, lächelt die beiden Spanierinnen an, die vor sich hin plappernd und beiläufig mit der linken Hand das Baby bespielen. Sie versucht sich immer wieder ihrem Buch zu widmen, doch der Sogkraft des Kindes ist stärker. Ich erkenne bei ihr einen ausgeprägten Kinderwunsch. Die Blonde hat unter ihrem Buch noch etwas in einer Klarsichthülle auf dem Schoß liegen. Drauf steht "Diplom" und der Schriftzug von der FU Berlin. Ich schätze, irgendwas mit Sozialwissenschaft. Wahrscheinlich Soziologie, denk ich mir. Hauptsache Umbruch! Was nach dem Studium? Kinder bekommen, Karriere, beides? Sei will aussteigen, stellt sich an die Tür an der ich lehne, sodass ich kurz auf das Diplomzeugnis lünkern kann. Tatsächlich Soziologie. "Glückwunsch zum Diplom", denke ich ihr hinterher als sie am Hermannplatz die Treppen hinauf - in ihre Zukunft.