Um deine Frage zu beantworten, musste ich mich eben erstmal ans Fenster setzten, eine ruhige CD hören (Vincent Gallo - "When") und gepflegt nachdenken.

Du liest ja gerade Max Frisch und hast daraus eine passende Stelle zitiert, die ich mal ein bisschen abändere (am Rande: das ß gewöhne ich mir übrigens ab sofort bei dem Wort ab, weil beim Frisör heute in dem Mickey Maus Heft wurd das nämlich nicht mehr mit ß geschrieben (übrigens eine ähnlich verstörende Situation, wie deine BRAVO-Erfahrung...)):

Ich erschrecke leicht, wenn jemand, den ich kenne, mich plötzlich anredet und sich als Leser entpuppt. Was macht man? Oft schätzen sie, was ich ohne viel zu wollen runtergerotzt habe und heute nicht mehr schreiben würde, und man kommt sich fast wie ein Verräter vor; dann tue ich meistens, als wüsste ich's besser.

Ich fühle mich keinesfalls krank, tue mich aber wie jeder, der es versucht, schwer, vor Ungläubigen zu begründen, warum und wofür das hier gut sein soll. Die Frage stellst du dir ja auch hin und wieder. Ich geh mal ein paar Tage zurück und nehm mal deine Antwort nach dem Warum:

warum ich das alles hier schreibe. Nun, zum einen beantworte ich diese Frage in meinem Impressum, wo geschrieben steht, dass ich vor allem über Dinge schreibe, die mich beschäftigen. Weil ich mich gern schreibe.

Dinge, die einen beschäftigen. Und ich lese mich auch gern schreiben. Das sind aber schon drei Wünsche auf einmal.

Wunsch 1: Die Dinge, die mich beschäftigen sind das Wichtigste von Welt. Die Dinge, die einen beschäftigen, sind das obenaufliegende Thema des Weblogs. Lass es mal einfach so Zeug sein, was da halt gerade so wichtig ist in dem Moment, wo man postet, diese freundliche Mischung aus Gedankenschnipseln, die für den Lesenden entweder auch irgendwie interessant sind, oder mal so gar nicht von Belang sind. Wie auch immer - die Dinge an sich sind ja auch nur ein Bruchteil von dem, womit man sich sonst auch noch beschäftigt. Aber was genau sind die Dinge eigentlich? Schnipsel aus der eigenen Gedanken- und Erfahrungswelt, sowie irgendwelche mehr oder wenigen unterhaltsamen oder informative Links zu anderen mehr oder weniger unterhaltsamen und informativen Links und was man dazu so denkt (bestenfalls). Ein frecher kleiner Linkcontainer mit persönlichen Kommentaren. Als ich mein erstes Modem hatte, hab ich mir in eine Kladde handschriftlich erinnerungswerte Seiten und so notiert, damit ich das wiederfinde. Dann hab ich irgendwann verstanden, wofür diese merkwürdige Bookmark-Funktion im Browser eigentlich gut ist. Aber das wurd auch bald unübersichtlich und dann wenn ich es brauchte, hab ich den Link nicht mehr gefunden, also hab ich es irgendwann sein lassen. Bei mir also auch das Weblog als Surftagebuch, um wenigsten ein bisschen was von den vielen Informationen, wo man so täglich ist, nicht zu verlieren. Ein subjektiv-verzweifelter Kampf gegen die Unordnung der täglichen Informationsflut?

Wunsch 2: Sich selber gerne lesen macht sexy (jetzt muss ich selber grinsen). Wer schreibt muss schreiben und muss das Geschriebene lesen. Nur so kann man besser werden (und es gibt viel zu verbessern!). Das lernt man schon in jedem Grundkurs an der VHS. Aber das ist ja nur das eine. Du sagst expliziet weil ich mich gern schreibe. Diese komische Kreativ-Ego-Maschine formally called Weblog hilft also auch, sich zu schreiben, dieses Sich, was im Kino ganz anders fühlt, als in der U-Bahn, im Supermarkt, oder im Wald. Dieses (s)ich, das nie aus ganz aus seinem Kopf rauskommt, und doch so sehr immer wieder den Wunsch verspührt, sich von außen zu betrachen, um sich mit der Umwelt in Bezug zu setzen. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass diese Begründung (wenn es denn eine ist) Ungläubigen nicht weiter hilft. Denn:

Wunsch 3: Ich will am liebsten, dass die ganze Welt mitliest. Denn Wunsch 1 und 2 könntest du ja auch in deinem Old-School Tagebuch befriedigen. Und ab hier wird man für viele für "krank" erklärt (oder herausgefordert, zuzugeben, dass man irgendwas zu kompensieren hat). Und hier wird es auch für einen selber schwierig, zu begründen. ZUM GLÜCK liest eben nicht die ganze Welt mit. Aber es liest ein winzig kleiner Teil mit: ein Großteil der Suchmaschinenbesucher wird fündig nach dem, was sie suchen, und lernen zumindestens, vielleicht die Suchanfrage zu verfeinern. Viele der mehr oder weniger regelmäßigen Besucher sind Fremde, die zu "Bekannten" werden, sind Leidensgenossen oder ebenso coole Rotzlöffel, wie man selber (hier so ein bisschen ironische Farbe einfügen). Einige wenige regelmäßigen Besucher sind Freunde und Bekannte aus dem Reallife. Und damit ist immer noch nichts begründet. Warum die Dinge und das "Sich" ins Internet stellen? Begründung weiter unten.

Hier erstmal weiter bei dir: Und mittlerweile ist das Bloggen auch zu einem Ausgleich geworden. Einem Ausgleich vom Job, in dem ich nur noch Texte schreibe, die von vielen als trocken angesehen werden. Hier kann ich über die Dinge schreiben, die mich darüber hinaus interessieren und hier kann ich mich auch weniger trocken ausdrücken. Und je mehr ich hier schreibe, desto leichter fallen mir andersrum auch die langweiligen Texte. Welch positiver Nebeneffekt. - Sehnsucht nach Freiheit, nach Selbstbestimmung in der Schreibe. Ist bei mir perönlich jetzt nicht so ganz so, aber vielleicht ähnlich. Ausgleich auf jeden Fall! Wichtig auch der ausgleichende Feedback, finde ich. Dieses wundern über, wo man Kommentare bekommt, und welchen Postings gähnende Leere herrscht.

Ich freue mich, wenn ich plötzlich bei anderen Personen in der Blogroll auftauche und sie dadurch immer wieder auf meine Seite zurückkommen. Besonders dann, wenn ich diese Personen selbst gerne lese, weil sie gut schreiben, weil sie über interessante Sachen schreiben oder weil mich ihre Texte neugierig auf die Person hinter der Internetseite machen.

"Ja, aber du kennst die ja nicht in echt", würde der Ungläubige begegnen, "was ziehts du denn daraus, das irgendwer dich gerne liest und du den gerne liest, ist doch alles nur Projektion und außerdem sind die Strahlen vom Monitor schädlich." Aber ich empfinde das genau wie du. Ich freu mich dann auch, es gibt einem einen winzig kleinen, kurzen Kick (vor allem, wenn man auf einer Blogrolle landet, von der man es nie erwartet hätte). Insgesamt buche ich das meist immer unter "lobende Erwähnung" ab. Aber WARUM braucht man das? Ist doch krank.

In deinen Kommentaren meint Gerrit noch: Je öfter man drüber nachdenkt, desto simpler wird die sich langsam herausbildende, halb-trotzige, aber dennoch absolut richtige Gegenfrage: »Warum nicht?« Klingt abgegriffen, aber es ist richtig!

Das ist so eine Tendenz, der ich mich auch gerne hingebe, dann am Ende des Abends. Nachdem ich irgendwas von Ärchaeologie der Eindrücke und bemerkenswerten Einsichten und Freuden des Medienkonsums gefaselt habe, indirekt den praschl zitiere, was er mal vor Urzeiten der Zeit im einem Artikel über Weblogs geäußert hat. So von wegen sich als Gutmensch hinstellen, weil man kostenlose Informationen für eine Community bereit stellt. Oder noch besser: Gutes Internet vs. böses Internet und persönlich am Kampf dagegen teilnehmen, dass Google, ebay und amazon das Internet unter sich aufteilen. Und spätestens, wenn ich mich dann sagen höre, "vor 10 Jahren hatte auch noch nicht jeder eine e-mail adresse und in 5 Jahren hätte jeder ein Blog", musste ich auch schon wieder innerlich mich selber nicht ernst nehmen...

Neulich der Abend, wo dieses Thema aufkam, war aber auch wieder typisch. Mein Fan aus Karlsruhe findet das ja meist höchst amüsant und hat so das Gefühl, über die Distanz am Ball zu bleiben, und wenn mal was zu verschlüsselt ist, ruft er an. Seine Liebste hat nichst gesagt, sondern immer nur prüfend geblickt. Meine Liebste bemerkte, dass sie jetzt übrigens auch beleidigt sei, gar nicht mehr drin vor zu kommen. Mein Mitbewohner - in gewohnt abwägender Kritik - findet das immer noch merkwürdig, denkt aber, er müsse sich das erstmal überhaupt ansehen. Und dann der N. auf der Party später hatte das Hauptargument, man würde doch zu viel von sich Preis geben. Er selbe vermeide es ja, Fußspuren zu hinterlassen und ich sei doch sonst eigentlich auch ein netter gesellschaftsfähiger Mensch, der es nicht nötig hätte, im Internet seine Freunde zu suchen (oder so). Dem ist sicher so, aber gerade weil ich das bin, kann ich es nicht lassen ;-) Und wegen dem Datenschutzding da: Ich komme ja an sich aus einem Elternhaus, wo während der Volkszählung in den 80ern die maschinenlesbaren Fragebögen mithilfe von Kaffeeflecken unbrauchbar gemacht wurden, um Daten zu schützten. Heute wird jeder Einkauf meiner Mom auf der Karstadt Kundenkarte festgehalten. Wenn DIE das wollen, dann ist sowieso jeder Bürger aus Glas. Warum DENEN nicht ordentlich Futter geben, damit es nicht zu Fehlinterpretationen kommt. Warum nicht als erstes im Suchmaschinenranking bei einer Suche nach dem eigenen Namen auf erster Stelle stehen und alles weitere richtig stellen, damit es ja keine Mißverständnisse gibt. Ein offenes Buch ist immer weniger reizvoll, als das noch in Geschenkpapier eingewickelte.

Vor einiger Zeit stolperte eine Kommolitonin in mein Weblog, über eine Googlerecherche. Sie laß, fands interessant, ihr kamen Dinge bekannt vor, ihr kamen Dinge immer bekannter vor, bis sie merkte, dass ich das bin. Als wir dann telefonierten, war ihr Feedback sehr ehrlich und positiv. Dieses Feedback von echten Bekannten (gern auch mal so richtig Negativ, übrigens) ist mir eigentlich am wichtigsten. Wer mich kennt, aber hier noch nicht reingelesen hat, soll erstmal einen kleinen Schnupperkurs in "wie man nicht nur so passiv da vor der Kiste sitzen kann" machen. Denn es macht einfach Spass rauszugehen. Nicht nur in einen anonymen Spassraum hier, sondern es macht genau so Spass, mal vor Leuten eine Rede oder so zu halten, einen Text in Print zu veröffentlichen, in einer Diskussion seine Meinung zu sagen, auf einem Konzert laut zu brüllen und in die Luft zu springen und zu glauben, dass die Band dadurch besser schlafen kann. DIE wollen doch nur, dass man die Klappe hält. Ohne Action keine Satisfaction.

PS: Mein Kommentar auf deine Frage ist jetzt so lang geworden, ich poste es mal einfach normalen.

PPS: Und es gibt noch so viel mehr Gründe.
 








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