Beide Filme gestern Abend hintereinander weg gesehen. War ja nun quasi Pflichtlektüre. Kann man nicht vergleichen, trotzdem sehr ähnlich. Äpfel- und Birnenmus. In einem Jahr verwechsele ich beide Filme sicher. Daher hier noch mal nur kurz notiert. Zum Glück haben die Filme jetzt alle irgendwie mitbekommen, muss man nicht so weit ausholen, mit Inhalt und all dem uninteressanten Name-Dropping-Kram.

No Country for Old Men

Landschaften, gebrochene Helden, Waffen, Geld, Gewalt, Gier, Moral. Und Mexiko! Moderner Western und endlich wieder das Gütesiegel "Coen-Brüder", das sich u.a. aus der Mischung von Abgründen amerikanischer Zivilisation mit postmoderner Ironie auszeichnet. Wenig von den Dialogen verstanden, daher mehr in der Optik des Films verloren, als in der Handlung. Die Grenze eine Membran. Muss mir den bei Gelegenheit doch noch mal mit Untertiteln und auf großer Leinwand ansehen. Kann bei beiden Filmen nicht schaden.

There Will Be Blood

Landschaften, irgendwie auch gebrochene Helden, psychologische Waffen, Geld, Gewalt, Gier, Alkohol, Moral. Und Öl und Religion! Sehr US-amerikanische Eckpfeiler des Gesellschaftssystems, ebenfalls zivilisationshistorische Abgründe. Hier aber Rückgriff auf epochale Kinoform mit klassischen, moralischen Bilderbuch-Konflikten. Hinzu kommen Konflikte "Vater-Sohn" und "Kapital-Moral". Alles sehr episch. Aber für meinen Geschmack nicht zu langatmig, wie Lars-Olaf Beyer fand. Gemessen an meiner Traumaktivität hat There Will Be Blood stärkeren Eindruck bei mir hinterlassen, geradezu parabelhaft. Aber No Country for Old Men ist der interessantere Film, weil eigenständiger und auch verstörender.
 




:::: gesehen am 22.2.2008

USA 2007; Regie: Mike Nichols; mit: Tom Hanks, Amy Adams, Julia Roberts, Philip Seymour Hoffman, u.a.



Weltpolitik auf menschlicher Ebene. Der Afghanistankrieg als verdeckter Nebenschauplatz von Interessen amerikanischer Individualisten. Der Alkohol als Treibstoff für Politik. Unterhaltsamer Film, nicht unbedingt eine lautstarke Satire wie Wag the Dog, aber ähnliche Zielrichtung mit Spitzen in Richtung der Fehlbarkeit von Realpolitik.

Die 1980er Jahre. Der Kalte Krieg. Der texanische Kongressabgeordnete Charlie Wilson wird von einer Ex-Geliebten und wohlhabenden, überzeugten Antikommunistin überredet, afghanische Freiheitskämpfer im Krieg gegen die sowjetische Besatzung nach dem Einmarsch der Roten Armee in Afghanistan zu unterstützen. Sie finden einen Verbündeten in der Person des verlebten aber gerissenen CIA-Agenten Gust Avrakotos, der für das Land zuständig ist. Charlie Wilson's guten Beziehungen im Unterausschuss des Kongresses, der für die Finanzierung des Verteidigungsministeriums zuständig ist, helfen, das Budget für den verdeckten Afghanistan-Einsatz von fünf Millionen US-Dollar jährlich auf etwa eine Milliarde US-Dollar zu steigern. Durch die ständig steigenden Verluste im wirtschaftlich eher unbedeutenden Afghanistan zieht sich die Rote Armee schließlich zurück. Der Film endet damit, dass Wilson nach dem Ende der Kampfhandlungen und der Operation mit geringen Mitteln den Wiederaufbau des Landes unterstützen will. Dies scheitert jedoch am Desinteresse innerhalb des Senats.

>>> Offizielle Homepage zum Film
 




:::: gesehen am 19.2.2008

USA 2006: Regie: Steve Buscemi; mit: Steve Buscemi, Sienna Miller



Die Heidi Klum war bei Beckmann. Das konnte ich nicht leiden und hab mit lieber dieses Kammerspiel zwischen Steve Buscemi und Sienna Miller angesehen. Er spielt einen schlecht gelaunten Politikreporter, der verdammt wurde sie, eine halbtalentierte Jungschauspielerin, zu interviewen. Schlecht vorbereitet und ohne irgendetwas von ihren Filmen zu wissen, trifft er sich mit ihr in einem Restaurant. Beide finden sich doof, das Gespräch ist schnell abgebrochen. Durch einen Autounfall wird dann aber das Interview in der Wohnung der Schauspielerin unter intimeren Umständen fortgeführt. Viele Drehungen der Gesprächsführung, bis am Ende, es überrascht nicht wirklich, sie ihn an der Nase herum geführt hat. Ist ein Remake eines gleichnamigen, niederländischen Films von 2003 des Regisseurs Theo Van Gogh (genau der, der 2004 von einem militanten Islamisten umgebracht wurde) und ist Teil einer Remake-Trilogie von Theo Van Gogh Filmen . Schaut sich sehr nett an, das Remake. Schauspiel okay. Buscemi könnte etwas schrulliger rüberkommen, Miller nervt für die Rolle angemessen mit ihrem Schauspielerinnen-Rumgezippel. Schön, wie am Rande das iBook der Schauspielerin, das Gmail-Account und der Palm des Journalisten zu handlungstreibenden Requisiten werden. Beim Film Lust bekommen auf Whiskey und Zigaretten.
 




:::: gesehen am 19.2.2008

Irland 2006; Regie: John Carney; mit: Glen Hansard, Markéta Irglová, u.a.



Frau Gröner hat den Film neulich empfohlen. Und da ich ja nun für die musische Erziehung der Frucht meiner Lenden zuständig bin, darf keine Gelegenheit ungenutzt bleiben, dem kleinen Wurm zu läuten, wogegen es sich dann in der Pubertät auflehnen kann. Frau Gröner hatte recht. Ein kleiner, schöner Liebesfilm - wenn man gitarrenlastige Singersongwriter-Melancholie mag. Das tschechisch-irisches Herzschmerz-Duett wurde für den Oscar 2008 nominiert. Wenige Gedanken meinerseits dazu.
Tschechisches Einwanderer-Aschenputtel mit Klavierbegabung und kleinem Kind trifft strubbelrothaarigen Straßenmusiker (schrieb Spiegel Online)
>>>Offizielle Homepage zum Film
 




:::: gesehen am 17.2.2008 im Colosseum

Russische Föderation2008; Regie: Igor Voloshin; mit: Olga Sutulova, Maria Shalaeva, Artur Smolyaninov, Mikhail Evlanov, Andrey Khabarov; 89 min.



Mein letzter Film auf der Berlinale dieses Jahr und auch nur zufällig gesehen, weil ich einfach Glück hatte. Erfrischend junges, russisches Kino. Rasante Montage, Clipästhetik, super Soundtrack, Story leicht diffus aber nicht gänzlich abwegig. Setdesign und Kostüm eine Augenweide, „Realfuturismus“ würde ich es nennen. Grundatmosphäre nicht ganz schlüssig, „hoffnungsvoll pessimistisch“ würd ich’s bezeichnen. Anna Hoffmann schreibt:
Sie hat das Leben in Moskau satt, also zieht die Krankenschwester Alisa nach St. Petersburg. Ihre Mitbewohner in der Gemeinschaftswohnung sind die beiden Junkies Valera und ihr Freund Toter Mann. Anfänglich kracht es zwischen den beiden Frauen, doch bald verbindet die beiden eine zarte und unverbrüchliche Freundschaft. Zusammen legen sie sich sogar mit der Petersburger Unterwelt an, als Toter Mann entführt wird, weil er seine Schulden nicht bezahlen kann. Das Leben ist hart und unübersichtlich und man muss nach außen ebenso hart und cool sein, um durchzukommen. Dieses Lebensgefühl dient in Nirvana nicht als soziologisches Passepartout, sondern als ästhetische Herausforderung. Mit großer Liebe zum Detail stylt Voloshin seinen Soundtrack, seine Drehorte und vor allem seine Darsteller. Die extravagante Maske und die aufwändigen Kostüme, in denen manche der Protagonisten agieren, die erlesenen Außenaufnahmen aus Petersburg und die opulenten Interieurs lassen an eine Pop-Oper denken, oder an einen als Punk wiedergeborenen Brecht, der noch einmal den V-Effekt erfindet. Und immer wieder meint man, inmitten all dieser visuellen Opulenz kleine Referenzen zu entdecken. Das mag an einem generationsspezifischen Filmkanon liegen oder daran, dass hier einfach ein Ausnahmetalent zum Vorschein kommt. Oder an beidem. (aus: Berlinale Programm)


 




:::: gesehen am 17.2.2008 im CiemaxX 7

Israel, Deutschland, Frankreich 2008; Regie: Eran Riklis; mit: Hiam Abbass, Rona Lipaz-Michael, Doron Tavory, Ali Suliman, Tarik Copty; 106 min.



Muss einem ja jemand sagen, dass der letzte Berlinale-Tag Publikumssonntag ist und man mit der Akkreditierung nirgends mehr reinkommt! Aber dank des äußerst freundlichen Herren aus der Marketingabteilung vom Tip-Magazin, der mir von seinem Freikartenkontingent kurz vor Filmstart noch eine Eintrittskarte abgeben hat, konnte ich wie geplant doch noch den Publikumspreisträger aus dem Panorama sehen.

Mit Publikumspreisen ist das ja meist so eine Sache. Der größte gemeinsame Nenner eines durchwachsenen Publikumsgeschmacks muss nicht automatisch den eigenen Filmgeschmack treffen. Meist gewinnen Komödien oder Filme mit einer eindeutigen politischen Botschaft. So ist es auch der Fall mit Lemon Tree - der Film macht alles richtig und seine Botschaft ist eindeutig. In der Westbank in einem kleinen Palästinenserdorf lebt die verwitwete Salma. Von ihrem verstorbenen Vater hat sie einen kleinen Zitronenbaum-Hain übernommen, mit dessen Ernte sie die allein stehende Frau gerade so sich selber über Wasser halten kann. Als der israelische Verteidigungsminister auf der anderen Seite der „grünen Linie“ in ein Haus einzieht, geraten Selmas Zitronenbäume ins Visier der Personenschützer. Die palästinensischen Zitronenbäume stehen den gehobenen Sicherheitsbedürfnissen des israelischen Ministers im Weg. Kurzerhand sollen die Bäume weg, die vor vielen Generationen von Salmas Familie angepflanzt worden. Salma nimmt sich einen Anwalt, doch es ist ein ungleicher Kampf.

Eigentlich ist es ein kleiner Nachbarschaftsstreit, der eingebettet ist in einen politischen und historischen Konflikt. Dieser politische Konflikt wird durch die Vereinfachung auf privater Ebene empathisch nachvollziehbar. Am Zaun stehen sich zwei Frauen gegenüber – Zalma auf der palästinensischen Seite und die Frau des Ministers auf der israelischen Seite – beide finden sich sogar sympathisch oder wünschen sich zumindest ein friedliches nebeneinander. Doch die äußeren, politischen Bedingungen sind andere. Und so sind beide Figuren Gefangene ihrer Gesellschaftssysteme und des historischen Konflikts. Der Film findet aus diesem Konflikt kein klassisches Happy End, sondern lediglich ein leicht pessimistisches, offenes Ende. Aber das Ziel des Films gelingt: eine emotionale Geschichte um einen abstrakten Konflikt zu erzählen, aus dem beide Parteien nie als Gewinner hervor gehen. Und dabei erzählt der Film erfreulich parteilos.
 




:::: gesehen am 15.2.2008 im CinemaxX 7

Spanien 2007; Regie: F. Javier Gutiérrez; mit: Víctor Clavijo, Mariana Cordero, Eduard Fernández, Juan Galván, Elvira de Armiñán, Ana de las Cuevas, Daniel Casadellá; 93 min.



Ein Psychopate und ein Weltuntergang. Es bleiben noch drei Tage, bis ein riesiger Meteorit auf die Erde trifft. Ale - ein junger Tagelöhner - möchte im Angesicht der Apokalypse nur noch Schallplatten hören und sich betrinken. Seine Mutter zwingt ihn aber mit ihr zum Haus des Bruders zu fahren, wo dessen vier Kinder allein gelassen auf ihre Eltern warten. Im allgemeinen Chaos brechen Hochkriminelle aus den Gefängnissen aus, darunter auch ein kindermordender Psycho, dessen letztes Ziel eben jenes Haus ist, mit dem er eine dunkle Vergangenheit verbindet.

Vor dem Hintergrund der Apokalypse wird ein ziemlich gewalttätiger Psychothriller erzählt. Ale kämpft verzweifelt darum, dass der Psycho den vier Kindern nichts antut. Alle Facetten des Genres werden durchgespielt, jeder Schock- und Gruselmoment bis auf das Letzte ausgekostet. Doch was filmhandwerkliche gelungen ist, will sich trotzdem nicht zu einem plausiblem Ganzen vermengen. Die eigentliche Narration hinkt dem Spektakel hinterher. Stellen Sie sich vor, dass in 72 Stunden die Welt untergeht. Was würden Sie tun? Was würden Ihre Nachbarn tun? Was Ihre Angehörigen? Und der Rest der Welt? Die als Ausgangssituation interessante Vermengung eines Katastrophenfilms mit einem Psychothriller dient letztendlich aber nur dafür, dass am Ende der unterlegene Ale den Bösewicht mithilfe des Meteoriden zur Strecke bringen kann. Deux ex Machina. Insgesamt ist das alles ziemlich schwammig, erschöpft sich im Spektakel und hinterlässt den Gesamteindruck einer unreflektierten Mixtur aus Actionfilmelementen. Weltuntergangsszenarien und Psychopaten gibt es aber im Kino wie Sand am Meer. Die Konkurrenz ist da groß und die Kombination von beidem macht noch lange keinen guten Film. Der etwas oberflächig wirkende Ansatz des Films vertieft sich im Filmgespräch mit dem Regisseur nach dem Film. Es sei ein modernes Märchen, was er erzählen möchte. Sein Film habe wenig mit der Gesellschaft zu tun, sondern soll unterhalten. Das Gewaltdarstellungen in Märchen jedoch meist vielschichtig durchdrungen sind, sowohl tauglich für Kinder als auch für Erwachsene, und dass Märchenhandlungen zwischen den Zeilen noch unglaublich viel Menschheitsgeschichte transportieren, scheint vergessen worden zu sein. Eben so wie die Einsicht, dass im Märchen die Helden durch ihre Handlungen alternieren, es meist ein Happy End gibt und eher selten die unausweichliche Apokalypse. Also kein Märchen, sondern ein nur pessimistischer Actionthriller. Obwohl - wenn ich es mit recht überlege - ist das pessimistische Ende eigentlich das Beste am Film: Bösewicht ist besiegt, guter Held erhält als Bonus die hübsche Frau, aber trotzdem unausweichlicher Weltuntergang. Rums, Vorhang, Ende Gelände. Keine Moral und kein "wenn sie nicht gestorben wären..."
 




:::: gesehen am 14.2.2008 im Cinestar 3

Japan 2007; Regie: Naoko Ogigami; mit: Satomi Kobayashi, Mikako Ichikawa, Ryo Kase, Ken Mitsuishi, Masako Motai; 106 min



Die Professorin Taeko macht Urlaub auf einer Insel im Süden Japans. Über die Ruhe der Inselbewohner und das innige Nichtstun ist sie zunächst verwundert. Außer Eislutschen und auf das Meer hinaus zu starren gibt es nicht viel zu tun. Mit der Zeit passt sie sich aber an den Lebensstil der Bewohner an.

Entschleunigung ist das Thema des Films. Die Regisseurin Naoko Ogigami hat mit ihrem vierten Film ein weiteres Mal einen paradiesischen Mikrokosmos entworfen. Man muss den Film atmen wollen, sich dem Zug der Bilder hingeben und darf den leisen Humor nicht mit lauten Lachern verscheuchen (wie der Herr die Reihe vor mir). Ein bisschen erinnert hier der Müßiggang am Strand an den stummen Humor in Die Ferien des Monsieur Hulots - nur eben mit viel weniger Chaos, Aufregung und Slapstick. Ein ruhiger wie splieniger Film, der sich Zeit nimmt und mit langem, ruhigem Bildern in einem wunderschönen Setting. Doch warum alle Figuren Brillen tragen und der Film danach betitelt ist, das hätte ich schon noch gern wissen wollen. Vielleicht nur so eine lustige Idee, vielleicht aber auch mehr.
 




:::: gesehen am 14.2.2008 im Cinestar 3

Mazedonien, Frankreich, Belgien, Slowenien 2007; Regie: Teona Strugar Mitevska; mit: Labina Mitevska, Ana Kostovska, Nikolina Kujaca, Xhevdet Jasari; 102 min.



Im heutigen Mazedonien, in der kleinen Industriestadt Titov Veles spielend, erzählt der Film die Geschichte dreier Schwestern, die jede auf ihre Art versuchen, ihre Zukunft in die Hand zu nehmen. Die Älteste ist drogenabhängig, die Mittlere kämpft darum, ein Visum zu bekommen und die Jüngste weigert sich zu sprechen und versucht krampfhaft schwanger zu werden. Als die Mutter der drei Schwestern mit einem neureichen Fabrikbesitzer abhaut, dreht sich alles um das vorgezeichneter Schicksal der jungen Frauen.

Ein Film, für den man ausgeschlafen sein sollte, denn verkünstelt wird inszeniert und verdichtet sind die Symbolebenen. Man muss keine tiefen Hintergrundkenntnisse über den jugoslawischen Sozialismus haben (wie in manch anderen Filmen aus den Balkanländern), die Frauenfiguren und ihr Lebens- und Liebeswillen sind tief genug gezeichnet, um eine Fülle an Interpretationen über die Rolle der Frauen im Post-Sozialismus zu eröffnen. Vielleicht sind es aber doch auch zu viele Bedeutungsebenen. Der Film schafft eine merkwürdige Atmosphäre, die aus einer Mischung von Klaustrophobie und Freiheit besteht. Ich bin mit dem Gefühl aus dem Film gekommen, das Alles nicht vollends verstanden zu haben. Lag aber sicher daran, dass ich müde war.

Debutfilm der jungen Regisseurin, die aus einer bekannten, mazedonischen Künstlerfamilie kommt, und herrlich eloquent und mit Nachdruck darüber berichtete, wie wichtig es für die neue Generation an Kulturschaffenden des heutigen Mazedoniens sei, ausgetretene Pfade zu verlassen und die Grenzen des Machbaren zu erweitern. Privileg des Künstlerkindes ist auch ein Hauch von elitärem Kulturverständnis.
 




:::: gesehen am 13.2.2008 im babylon:mitte

Belgien, Niederlande 2007; Regie: Nic Balthazar; mit: Greg Timmermans, Marijke Pinoy, Pol Goossen, Laura Verlinden; 90 min



Ben hat eine autistische Störung, wird von seinen Mitschülern gehänselt und lebt in seiner eigenen Welt, die geprägt ist vom Online-Rollenspiel Archlord. In diesem Computerspiel ist er als "Ben X" ein Held. Hier kann er sein, aussehen und agieren, wie er möchte. Ganz anders in der Schule, dort wird er herumgeschubst und kann die Spielregeln des Schulhofs einfach nicht verstehen. Als er eines Tages wieder von seinen Klassenkameraden bis zur Entblößung gequält wird und auch noch Videos von der Erniedrigung im Internet auftauchen, zerbricht Ben. Selbst seine Rollenspiel-Partnerin kann ihn nicht mehr aufbauen. Ben kündigt an, sein letztes Spiel zu spielen - scheinbar plant er einen Selbstmord, vielleicht sogar einen Amoklauf. Zu viel will ich nicht verraten. Das hatte meine Kollegin schon, die mir den Film empfohlen hatte, als sie sagte, der Film sei gut, zwiespältig aber findet ein sehr gutes Ende.

Das Problem des Films - was gleichzeitig seine eigentliche Qualität ist - sind die Vermischungen bzw. die Trennungsunschärfen von Wahrnehmungswelten. Primäre Erzählperspektive ist die Sicht von Ben. Es gibt aber auch eine "allwissende" Kameraführung (ähnlich wie in Computerspielen), sowie Interview-Ausschnitte mit Eltern und Mitschülern, die die Perspektiven von Ben in eine scheinbare Objektivität einbetten. Wenn man so will, liefern die dokumentarisch inszenierten Interviews den Pfad für das "Big Picture" der fragmentarischen, fantastischen, vom Computerspiel beeinflussten, Weltsicht Bens. Doch wer sich auf diesen einfachen Pfad einlässt, wird vom Film lustig gefoppt. Denn das, was "wirklich" passiert sehen wir erst ganz am Ende des Films. Es ist das alte Ding mit der Realitätswahrnehmung - das was man sehen, anfassen, fühlen kann. Was aber, wenn sich die Wahrnehmung von Realität in jedem von uns anders gestaltet und anfühlt. In Filmen wird gern mit changierenden Realitäten gespielt, um den Zuschauer auf die falsche Fährte zu bringen. Leider geschieht das zu oft als reiner Selbstzweck. "Ben X" schafft es, dieses Spiel der Realitätsebenen einzubetten in einen moralischen Thriller, ohne allzu moralisierend zu werden.

Noch was interessantes zum Dreh. Die Spielwelten in dem Film wurden nicht extra designed, sondern entstammen dem Original-Game Archlord. Im Gespräch nach dem Film erzählte der Produzent über die Dreharbeiten im Cyberspace. Es wurden vier Online-Gamer angeheuert, die drei Monate in dem Spiel unterwegs waren, um eine hohe Punktzahl zu erreichen, damit die Spielfiguren von "Ben X" auch wirklich einer hohen Punktezahl entsprechend aussehen und wirken konnte. Bei den Aufnahmen traten dann echte Onlinespieler in die Szene und wollten die Spielfigur kennen lernen, da eine solch hohe Punktzahl sehr selten in dem Spiel ist. Als dann erläutert wurde, dass gerade ein Film gedreht wurde, gingen manche der Gaffer, manche mussten aber auch erst getötet werden. Fand ich lustig. Auch gab es einen Online-Location-Scout, der das Spiel nach geeigneten Drehorten absuchte. Die Realitäten der Filmproduktion ändern sich eben auch. Wie auch im anderen Film von heute Sleep Dealer, der Globalisierung und die Ausbeutung von Billiglohnarbeitern zwar kritisiert, selbst aber nicht ohne die kostengünstigen, digitalen Bildwelten made in India und China auskommt. Egal. Hauptsache wieder zwei sehenswerte Filme heute auf der Berlinale gesehen. Gestern war es Japan, heute Cyberspace-Filme, mal sehen was morgen kommt. Ich tippe mal auf Liebesfilme. Happy Valentine's , liebe Leser!

Webseite zum Film: http://www.benx.be/
 








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